4. Lehrergesundheit

4.2.1 Die Bedeutung von Burnout für den Lehrberuf

Burnout ist in der Gruppe der Lehrenden ein wichtiger Grund für frühzeitige Pensionierungen (Lehr, 2004). Aber auch schon bevor Lehrkräfte sich so "ausgebrannt" fühlen, dass sie ihren Beruf an den Nagel hängen (müssen), wirkt sich diese Störung bei ihrer Berufsbewältigung aus: Schüler fühlen sich von Lehrkräften, die sich stark beruflich belastet fühlen, nicht so gut gefördert, wie von Lehrkräften, die sich weniger beruflich belastet fühlen (Klusmann, Kunter, Trautwein & Baumert, 2006). Diese geringere Förderung äußert sich aus Schülersicht zum Beispiel darin, dass die Lehrkräfte die Entwicklung ihrer kognitiven Selbstständigkeit weniger gut unterstützen. Die Schüler haben darüber hinaus auch das Gefühl, dass diese Lehrkräfte ihnen im Unterricht zum Beispiel zu wenig Zeit zum Beantworten einer Frage lassen.

Exkurs 5 (Dr. Hans-Peter Trolldenier):

Verhaltens- und Erlebensmuster zu Lehrergesundheit und Burnout nach Schaarschmidt                                                     

Schaarschmidt (2008, S. 198) weist unter dem Stichwort „Lehrergesundheit“ auf die hohen psychischen Belastungen des Lehrerberufs hin und nennt als Beleg die „außerordentlich hohen Zahlen von Dienstunfähigkeit und vorgezogenem Ruhestand“. Schon seit Jahrzehnten werden Studien zur Lehrerbelastung durchgeführt und seit den achtziger Jahren wird auch speziell das „Burnout-Syndrom“ systematisch erforscht, beginnend 1976 mit den Studien der Sozialpsychologin Masloch und ihrem Team an der Berkeley-Universität in Kalifornien            (zit. nach Barth, 2010). Schaarschmidt sieht die Entstehung des Burnout darin, dass „anfängliche Erwartungen permanent und massiv enttäuscht werden. Die Enttäuschungen ändern sich im Erleben eines Ungleichgewichts vom Geben und Empfangen zuungunsten des Letzteren und schlagen sich dann als negative Beanspruchungsfolgen nieder.“

Dieses Ungleichgewicht bezieht sich vor allem auf zwischenmenschliche Beziehung und auf die Organisation des Lehrerberufs. Wie die Bezeichnung „Burnout“ bereits impliziert, beschreibt dieser Begriff einen Prozess, der vom Brennen zum Ausbrennen verläuft (Schaarschmidt, 2008, S. 201).

Im Gegensatz zu einer häufig üblichen symptomorientierten Vorgehensweise bei der Burnout-Diagnostik stehen bei Schaarschmidt die persönlichen Ressourcen im Mittelpunkt, die jedem Menschen zur Ausübung seines Berufes in unterschiedlichem Maße zur Verfügung stehen. Er möchte damit einerseits von anderen Berufsgruppen abgrenzen und andererseits pragmatisch handhabbare Dimensionen schaffen, die gleichzeitig für Diagnose und Prävention/Intervention benutzt werden können. Das gelang bei der Schaffung des Diagnose-verfahrens „Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebnismuster (AVEM)“. Diese hier vorkommenden elf Dimensionen heißen (nach Schaarschmidt, 2006):

  1. Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit: Stellenwert der Arbeit im persönlichen Leben. Beispielitem: Die Arbeit ist für mich der wichtigste Lebensinhalt.
  2. Beruflicher Ehrgeiz: Streben nach Zielen und Weiterkommen im Beruf. Beispielitem: Ich möchte beruflich weiter kommen, als es die meisten meiner Bekannten geschafft haben.
  3. Verausgabungsbereitschaft: Bereitschaft, die persönliche Kraft für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe einzusetzen. Beispielitem: Wenn es sein muss, arbeite ich bis zur Erschöpfung.
  4. Perfektionsstreben: Anspruch bezüglich Güte und Zuverlässigkeit der eigenen Arbeitsleistung. Beispielitem: Was immer ich tue, es muss perfekt sein.
  5. Distanzierungsfähigkeit: Fähigkeit zur psychischen Erholung von der Arbeit. Beispielitem: Nach der Arbeit kann ich ohne Probleme abschalten.
  6. Resignationstendenz bei Misserfolgen: Neigung, sich mit Misserfolgen abzufinden und leicht aufzugeben. Beispielitem: Wenn ich keinen Erfolg habe, resigniere ich schnell.
  7. Offensive Problembewältigung: Aktive und optimistische Haltung gegenüber Herausforderungen und auftretenden Problemen. Beispielitem: Für mich sind Schwierigkeiten dazu da, dass ich sie überwinde.
  8. Innere Ruhe und Ausgeglichenheit: Erleben psychischer Stabilität und inneren Gleichgewichts. Beispielitem: Mich bringt so leicht nichts aus der Ruhe.
  9. Erfolgserleben im Beruf: Zufriedenheit mit dem beruflich Erreichten. Beispielitem: Mein bisheriges Berufsleben war recht erfolgreich.
  10. Lebenszufriedenheit: Zufriedenheit mit der gesamten, auch über die Arbeit hinausgehenden Lebenssituation. Beispielitem: Im Großen und Ganzen bin ich glücklich und zufrieden.
  11. Erleben sozialer Unterstützung: Vertrauen in die Unterstützung durch nahestehende Menschen, Gefühl der sozialen Geborgenheit. Beispielitem: Wenn ich mal Rat und Hilfe brauche, ist immer jemand da.

Die individuellen Ausprägungen innerhalb der elf Dimensionen werden für jede Befragungsperson nach dem Ausfüllen von AVEM ermittelt. Auf dieser Grundlage beschreibt Schaarschmidt (2008, S. 202) vier Muster beruflichen Bewältigungsverhaltens, darunter die zwei „normalen“ Muster G und S und die zwei Risikomuster A und B:

  • Muster G: (Gesundheit: hohes, aber nicht überhöhtes Engagement, Belastbarkeit und Zufriedenheit),
  • Muster S (Schonung/Schutz: geringes Engagement, Gelassenheit und relative Zufriedenheit),
  • Risikomuster A (Selbstüberforderung: exzessive Verausgabung und verminderte Erholungsfähigkeit, Einschränkung der Belastbarkeit und Zufriedenheit) und
  • Risikomuster B (Resignation: reduziertes Engagement bei stark verringerter Erholungs- und Widerstandsfähigkeit, Erschöpfung und Niedergeschlagenheit).“

Einen genaueren Überblick über die Zusammensetzung der vier Muster nach den jeweiligen Ausprägungsgraden in allen elf Dimensionen ermöglicht Abbildung 12.5.

Abbildung 12.5: Die vier Bewältigungsmuster im Lehrerberuf nach Schaarschmidt (dargestellt in Anlehnung an Schaarschmidt, 2006).

Nach Schaarschmidt (2008, S. 202) entspricht das Risikomuster B „in seinen Merkmalen den letzten Stadien eines Burnout-Prozesses. Dennoch kann es nicht ohne Weiteres mit Burnout gleichgesetzt werden. Von Burnout wäre dann zu sprechen, wenn die Entwicklung von Muster A („Brennen“) zu Muster B („Ausgebranntsein“) verläuft.“ Damit ist der Akzent auf Burnout als Prozess gelegt, im Gegensatz zu der in der Literatur auch vorkommenden reinen Zustandsbeschreibung.

Auf der Grundlage von Untersuchungen an ca. 16 000 Lehrkräften in 14 Bundesländern kommt Schaarschmidt (2010, S. 418f.) zu folgenden Aussagen:

  • Es gibt eine für den Lehrerberuf charakteristische Musterverteilung: Muster G                  ca. 16 %, Risikomuster A und B jeweils ca. 30 % (entsprechend dann S ca. 24 %).
  • Die Musterverteilung ist kaum von den verschiedenen Schultypen oder dem Alter der Lehrer abhängig.
  • Die Geschlechtsunterschiede in der Musterverteilung fallen zum Nachteil der Frauen aus.

Im Rahmen einer dringend nötigen Prävention/Intervention von Burnout müssen die Rahmenbedingungen des Lehrerberufs verbessert werden und Lehrer sollen mit ihren wachsenden Schwierigkeiten nicht alleine gelassen werden. Als eine einzelne system-bezogene Maßnahme wird die Verringerung der Schülerzahlen pro Klasse genannt. Interessant wäre eine Prüfung des Eignungs- und Anforderungsprofils vor Beginn der Lehrerausbildung.

Als auf einzelne Personen zugeschnittene Maßnahmen nennt Schaarschmidt für die Risikomuster A und B: Belastungsausgleich (Entspannen…), Zufriedenheitserlebnisse, Teamgeist und Vertrauen im Lehrerkollegium (vgl. spezielle Programme dazu, etwa bei Meidinger & Enders, 1997 und bei Schlee, 2008).

Speziell bei Risikomuster A: keine Selbstüberforderung, bessere Arbeitsorganisation, lerne nein sagen zu können. Stärkere Hilfen sind bei Risikomuster B nötig: Supervision und Einzel- oder Gruppenpsychotherapie, eventuell ein Wechsel des Berufs.

In der Lehrerausbildung sollten stärker als bisher die sozial-kommunikativen Fähigkeiten gefördert werden. In der Berufslaufbahn sollte erreicht werden, dass Lehrer sich selbst stärker um eine Weiterentwicklung bemühen, im Sinne einer Verbesserung der beruflichen Kompetenzen, aber auch durch eine stärkere Beachtung der persönlichen Beanspruchung und realistischer Schaffung von Ausgleich.

Literatur:

Barth, A.-R. (2010). Burnout bei Lehrern. In D. H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (4. Auflage, S. 83-89). Weinheim: Beltz.

Meidinger, H. & Enders, Ch. (1997). Burnout-Seminare für Lehrer: Ausgebrannt und aufgebaut; Arbeits- und Nachdenkbuch. Neuwied: Luchterhand.

Schlee, J. (2008). Kollegiale Beratung und Supervision für pädagogische Berufe. Hilfe zur Selbsthilfe. Stuttgart: Kohlhammer.

Schaarschmidt, U. (2008) Burnout im Lehrerberuf. In W. Schneider & M. Hasselhorn (Hrsg.), Handbuch der Pädagogischen Psychologie (S. 197-209). Göttingen: Hogrefe.

Schaarschmidt, U. (2010). Lehrerbelastung. In D. H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (4. Auflage, S. 416-421). Weinheim: Beltz.

Schaarschmidt, U. (2006) AVEM – ein Instrument zur interventionsbezogenen Diagnostik beruflichen Bewältigungsverhaltens. Zugriff am 01.12.2010 http://www.psychotherapie.uni-wuerzburg.de/termine/dateien/Schaarschmidt180407_AVEM.pdf