2. Psychodynamische Theorien

2.1 Die Persönlichkeitstheorie von Freud (1856–1939)

Abbildung 8.1: Sigmund Freud

Sigmund Freud, ein österreichischer Arzt, beschäftigte sich zunächst mit neurologischer Forschung, bevor er damit begann, Patienten mit den unterschiedlichsten Leiden zu behandeln. Hierfür entwickelte er eine zum damaligen Zeitpunkt geradezu revolutionäre Methode, die Psychoanalyse. Obwohl unter "Psychoanalyse" auch heute noch in erster Linie die Behandlungsmethode verstanden wird, umfasst sie auch explizit eine Sicht des Menschen (und damit seiner Persönlichkeit) sowie der Gesellschaft (siehe z.B. Freud, 1979a, 1979b).

Zur Beschreibung der Persönlichkeitsstruktur konzipierte Freud zwei Modelle: Das topografische Modell und das Instanzenmodell.

Das topografische Modell gleicht dabei einer räumlichen Einteilung der Bewusstseinsebenen:

 

Abbildung 8.2: Das topografische Modell von Freud; Abbildung von Wiska (2006)

Später fügte Freud das Instanzenmodell hinzu, das sich mit dem topografischen Modell teilweise deckt bzw. dieses ergänzt:

Abbildung 8.3: Das funktionale Modell von Freud; eigene Abbildung

Das funktionale Modell enthält insofern die Elemente des topografischen Modells, als dass sich im Unbewussten diejenigen Inhalte befinden, die vom ES gesteuert werden (z. B. Triebe, gesellschaftlich nicht akzeptierte Wünsche etc.). Die bewussten und vorbewussten Inhalte werden im Ich und Über-Ich verarbeitet.

Wieso wird Freuds Theorie nun als psychodynamische Persönlichkeitstheorie bezeichnet?

Die vorgestellten Modelle sind von der Konzeption her zwar statisch, jedoch geht Freud davon aus, dass alle psychische Energie aus den vorhandenen (biologischen) Trieben entsteht. Das Verhalten eines Menschen entsteht daher im Konflikt zwischen biologischen Wünschen und sozialen oder gesellschaftlichen Zwängen und Gegebenheiten. Hilfreich für das Verständnis ist es, sich an dieser Stelle zu vergegenwärtigen, dass Freud im viktorianischen Zeitalter gelebt hat, das durch Prüderie und rigide Moralvorstellungen geprägt war. Die Annahme, der Mensch sei im Grunde durch (primitive) Triebe wie den Sexualtrieb gesteuert, erregte zum damaligen Zeitpunkt große Empörung.

Die menschliche Entwicklung vollzieht sich demnach durch die Dynamik, die aus der beständigen Auseinandersetzung mit den konfligierenden Instanzen entsteht. Freud hatte sehr konkrete Vorstellungen davon, in welchen Phasen die kindliche Entwicklung abläuft. Je nach Alter bezieht sich der körperliche Spannungszustand auf unterschiedliche Körperregionen, nach denen die Entwicklungsphasen benannt sind, so unterscheidet er eine orale, anale und phallische Phase mit charakteristischen Merkmalen.

Freuds Theorie hat große Bedeutung erlangt und erwies sich als äußerst fruchtbar für die weitere Entwicklung von Persönlichkeitstheorien. Es wurde jedoch auch heftige Kritik geäußert, die sich auf die wissenschaftliche Brauchbarkeit bezieht: Viele Annahmen in Freuds Theorie sind ungenau und lassen sich nur schlecht überprüfen. Auch basiert seine Darstellung auf Einzelfallbetrachtungen seiner (meist wohlhabenden und gebildeten) Patienten, die sich schwer verallgemeinern lassen.