3. Wissen und Informationsverarbeitung als zentrale Komponenten der Intelligenz

Bei der Intelligenzforschung war seit jeher die differenzielle Perspektive maßgeblich, d.h. Intelligenzforscher haben sich vorwiegend mit individuellen Unterschieden in der Intelligenz beschäftigt, mit der Frage, worin diese sich zeigen und welche Einflüsse hierfür verantwortlich sind. In diesem Zusammenhang spielte die Intelligenzdiagnostik eine zentrale Rolle, wobei man sich auf dem Hintergrund von spezifischen Intelligenzmodellen mit der Erfassung spezifischer Fähigkeiten befasste und entsprechend geeignete Aufgabentypen entwickelte.

Gleichzeitig mit dem Beginn der intensiveren wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema Intelligenz begann Piaget in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, sich weitgehend unabhängig von der sonstigen Intelligenzforschung und aus einer entwicklungspsychologischen Perspektive mit dem Denken des Kindes zu beschäftigen. Ihn interessierten die dem Denken zugrunde liegenden Strukturen und Prozesse und deren Entwicklung von Geburt an bis zum Erwachsenenalter. In der Nachfolge von Piaget und überwiegend auf seinem Entwicklungsstufenmodell aufbauend konzentrierte sich die Forschung dann zunehmend auf die das effiziente Denken fördernden Prozesse und Bedingungen, wobei hier Informationsverarbeitungstheorien mehr und mehr eine wichtige Rolle spielten.

Gleichzeitig machte man sich in der Gedächtnisforschung Gedanken darüber, wie Informationen aufgenommen, enkodiert (abgespeichert) und wieder abgerufen werden können, und welche Rolle dabei metakognitive Prozesse spielen. In diesem Zusammenhang wurde zunehmend deutlich, dass effizientes Denken oder Lernen nicht nur von den Informationsverarbeitungsprozessen, sondern insbesondere auch von bereits vorhandenem Wissen (dem Vorwissen) und dessen Struktur abhängt. Man kann also davon ausgehen, dass sowohl Informationsverarbeitungsprozesse als auch verfügbares Wissen wesentliche Komponenten der Intelligenz ausmachen. Damit wird deutlich, dass eine angemessene Intelligenzforschung auch Befunde der Wissens- und Gedächtnispsychologie einbeziehen muss. Informationsverarbeitungsprozesse sowie Wissen haben schließlich auch im Intelligenzmodell von Sternberg eine besondere Bedeutung.

Unter Wissen wird ein relativ dauerhafter Inhalt des Gedächtnisses verstanden, von dessen Gültigkeit die Person überzeugt ist. Die moderne Lern- und Gedächtnisforschung beschäftigt sich damit, wie Wissen erworben wird, wie es repräsentiert und organisiert wird, wie und unter welchen Bedingungen es abgerufen und insbesondere beim Denken und Handeln auch angewendet werden kann. Der Begriff Wissen bezieht sich hierbei allerdings nicht nur auf das Wissen um Fakten und Gesetzmäßigkeiten und spezifische Ereignisse, welches dem sogenannten deklarativen Gedächtnis zugeordnet wird, sondern auch auf prozedurales Wissen, d.h. das Wissen um Fertigkeiten in der Verarbeitung von Informationen. Gerade das prozedurale Wissen ist hierbei automatisiert und wird nicht mehr direkt durch bewusste Denkvorgänge gesteuert.

Nach den Vorstellungen der modernen Gedächtnispsychologie wird davon ausgegangen, dass Wissen netzwerkartig organisiert ist und dass der Erwerb neuen Wissens optimiert werden kann, wenn Anknüpfungsmöglichkeiten an Vorwissen gegeben sind und das neue Wissen in einer strukturierten Weise vorgegeben wird. Gut strukturiertes Wissen ermöglicht es, neues Wissen zu generieren und es erleichtert die Aufnahme neuer Informationen (Lernen).

Vorhandenes Wissen trägt somit entscheidend zur Intelligenz bzw. zur Intelligenzentwicklung bei, wobei zwischen Intelligenz und Wissen wechselseitige Einflüsse bestehen. Nach Weinert (1996) beeinflusst das Intelligenzniveau das (kognitive) Niveau und die Qualität der Lernprozesse, deren Ergebnis im Erwerb von mehr oder weniger anspruchsvollem Wissen besteht. Dieses Wissen ist neben der allgemeinen Intelligenz wiederum Grundlage des Denkens bzw. damit verbundener intellektueller Fähigkeiten und beeinflusst somit auch wieder das nachfolgende Lernen.

Diese moderne Sichtweise einer Intelligenz, die nicht nur auf grundlegenden Informationsverarbeitungsfähigkeiten oder „Denkkompetenzen“ basiert, sondern Wissen und Vorwissen als zentrale Komponenten einbezieht, wird insbesondere im Intelligenzmodell von Cattell (1971) mit der Unterscheidung zwischen fluider und kristalliner Intelligenz deutlich, ebenso wie in der Triarchischen Theorie von Sternberg (1985), die sowohl kognitive und metakognitive Prozesse als auch Erfahrungsprozesse und implizites Wissen als zentrale Komponenten einschließt.