[1] Besitzschutz gem. § 861 BGB

Prüfungspunkte im Einzelnen

a. Besitz i.S.v. § 854 Abs. 1 BGB
Anspruchsberechtigter ist der frühere Besitzer der Sache. Entscheidend hierfür ist, dass er die tatsächliche Sachherrschaft i.S.v. § 854 Abs. 1 BGB an der Sache innehatte. Seine Berechtigung zum Besitz, bzw. das Vorliegen von Eigen- oder Fremdbesitz ist dabei unerheblich.

b. Besitzentzug durch verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858 Abs. 1 BGB
Dem Besitzer muss die Sache durch verbotene Eigenmacht entzogen worden sein. § 858 Abs. 1 BGB enthält eine Legaldefinition der verbotenen Eigenmacht. So handelt widerrechtlich, wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet. Für einen Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB relevante verbotene Eigenmacht liegt also vor, wenn dem unmittelbaren Besitzer ohne seinen Willen der Besitz an der Sache entzogen wird. Eine Besitzentziehung gegenüber einem bloß mittelbaren Besitzer unterfällt nicht § 858 Abs. 1 BGB. Aus dem Wortlaut des § 858 Abs. 1 BGB „ohne den Willen des Besitzers“ ergibt sich, dass der Besitzer zum Zeitpunkt der Besitzentziehung nicht notwendig konkreten Besitzwillen bzgl. der Sache haben muss (d.h. es schadet nicht, wenn der Besitzer gerade nicht an die Sache denkt). Zu beachten ist, dass grundsätzlich auch gegenüber rechtswidrig oder fehlerhaft Besitzenden verbotene Eigenmacht vorgenommen werden kann. Hat der Angreifer ein Recht zum Besitz an der Sache, so liegt dennoch eine rechtswidrige verbotene Eigenmacht vor.

Willigt der Besitzer in den Eingriff in seinen Besitz ein, so liegt kein Fall der verbotenen Eigenmacht vor. Ob zur Einwilligung Geschäftsfähigkeit erforderlich ist oder natürliche Willensfähigkeit ausreicht ist umstritten (Wieling, S. 62; Baur-Stürner, § 9 Rn. 5; Prütting, Rn. 109). Die h.M. geht davon aus, dass es zur Einwilligung nicht der Geschäftsfähigkeit bedarf, da diese kein Rechtsgeschäft darstellt (Wieling, S. 62; Soergel/Stadler, § 858 Rn. 9; Westermann/Gursky/Eickmann, § 21 Rn. 4; a.A. Baur-Stürner, § 9 Rn. 5; Prütting, Rn. 109). Aufgrund des Schutzrahmens des § 858 Abs. 1 BGB kann die Einwilligung nur vom unmittelbaren Besitzer erfolgen. Daher wirkt die Einwilligung eines Besitzdieners (§ 855 BGB) oder eines mittelbaren Besitzers (§ 868 BGB) nicht rechtfertigend.

Eine nachträgliche Genehmigung des Eingriffs beseitigt die Fehlerhaftigkeit des durch die verbotene Eigenmacht erlangten Besitzes und ist zugleich ein Verzicht auf die Besitzschutzansprüche aus §§ 861, 862 BGB.

c. Fehlerhafter Besitz des momentanen Besitzers gem. § 858 Abs. 2 BGB
Besitz ist fehlerhaft, wenn der momentane Besitzer diesen durch verbotene Eigenmacht erlangt hat (§ 858 Abs. 2 S. 1 BGB) oder wenn er die Fehlerhaftigkeit gem. § 858 Abs. 2 S. 2 BGB gegen sich gelten lassen muss. Das ist der Fall, wenn der Besitzer Erbe eines fehlerhaften Besitzers ist oder wenn er bei Erwerb des Besitzes dessen Fehlerhaftigkeit kennt.

d. Kein Ausschluss durch § 861 Abs. 2 BGB
Der Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes ist gem. § 861 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Besitz dem gegenwärtigen Besitzer gegenüber fehlerhaft war und in dem letzten Jahre vor der Entziehung erlangt worden ist. Hat der ehemalige Besitzer seinerseits den Besitz durch verbotene Eigenmacht erlangt oder besitzt er sonst fehlerhaft und hat er diesen Besitz im letzten Jahr erlangt, so ist ein Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Hierdurch wird verhindert, dass derjenige der selbst verbotene Eigenmacht ausübt, gegenüber dem aus § 861 Abs. 1 BGB Berechtigten vorgeht.


e. Kein Ausschluss durch § 864 BGB
Der Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB erlischt gem. § 864 Abs. 1 BGB mit dem Ablauf eines Jahres nach Verübung der verbotenen Eigenmacht, wenn nicht vorher der Anspruch im Wege der Klage geltend gemacht wurde. Es handelt sich hierbei um eine Ausschlussfrist (Vieweg/Werner, § 2 Rn. 61). Das Interesse des bisherigen Besitzers, die früheren Besitzverhältnisse wiederherzustellen ist nach Ablauf dieser Frist nicht mehr schutzwürdig (Wellenhofer, § 5 Rn. 12). Der Anspruch erlischt nach § 864 Abs. 2 BGB auch dann, wenn durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wurde, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht. Dies gilt entsprechend dem Wortlaut des § 864 Abs. 2 BGB nur dann, wenn die verbotene Eigenmacht vor dem Urteil verübt wurde, nicht im Anschluss an dieses (Wellenhofer, § 5 Rn. 12; a.A. RGZ 107, 258).

f. Unbeachtlichkeit petitorischer Einwendungen
Petitorische Ansprüche folgen aus dem Recht zum Besitz (Wellenhofer, § 5 Rn. 1). Nach § 863 BGB kann gegenüber einem Anspruch aus § 861 BGB ein Recht zum Besitz oder zur Vornahme der störenden Handlung nur zur Begründung der Behauptung geltend gemacht werden, dass die Entziehung oder die Störung des Besitzes nicht verbotene Eigenmacht sei. Dies bedeutet, dass schuld- oder sachenrechtliche Einwendungen bei einem Anspruch aus § 861 BGB unberücksichtigt bleiben müssen, da dieser auf die rasche, vorläufige Wiederherstellung der früheren Besitzlage gerichtet ist (Wellenhofer, § 5 Rn. 13). Petitorische Ansprüche haben hingegen zum Ziel, die Rechtslage endgültig zu regeln (Vieweg/Werner, § 2 Rn. 62).